Sonnabend, den 14. Juni 2014
„Ist das schon Schach?“
Diese Schlagzeile wählte Ilja Schneider für seinem Bericht von den Deutschen Jugendeinzelmeisterschaften in Oberhof 2013 in der Zeitschrift SCHACH [siehe Heft 7/2013, Seiten 39-43].
Zugegebener Maßen, dafür musste eine Episode aus dem Bereich U25-B-Open herhalten, wo ein materiell überlegender Weißspieler NN – er hatte zwei Türme, eine Leichtfigur und drei Bauern mehr – sich auf der Grundreihe matt setzen ließ.
Die wichtige Frage, die der Internationale Meister aus Berlin allerdings damit stellen wollte und die meiner Meinung nach nichts an Aktualität verloren hat, lautet: „Wie und cui bono kann es passieren, dass sich die DJEM[Deutsche Jugendeinzelmeisterschaften] – der [eigentlich] prestigeträchtige Jahreshöhepunkt des Jugendschachs – immer mehr von ihrem elitären Charakter verabschiedet, um stattdessen durch Aufnahme immer neuer Turniere [zuletzt noch das U14-Open und die Vergrößerung der Teilnehmerzahl in der U14] weiter und weiter aufgeblasen zu werden?“
In Magdeburg, wo erstmals die DJEM stattfindet, wurden den beiden U25-Open kurzfristig sogar der Status einer Offenen Deutschen Juniorenmeisterschaft U25 zuerkannt, ohne das die veranstaltende Deutsche Schachjugend [DSJ] das freilich hinreichend begründet hat.
Nun, wenn ich die aktuellen Tabellenstände in beiden Gruppen anschaue, so kann es uns Brandenburgern natürlich nur Recht sein [Clemens Rietze auf Platz 2 in der A-Gruppe , Susan Reyer auf Platz 3 in der B-Gruppe!], aber einmal im Ernst: Ist eine solche Entscheidung wirklich gerechtfertigt, und vor allem was bringt sie sportlich gesehen?
Meines Wissens ist international die Altersgrenze bei Junioren auf U20 festgelegt, da finden dann auch EM und WM statt. Wer diesem Alter entwachsen ist und studiert, kann zumindest bis U25 bei den Studentenweltmeisterschaften antreten. Leider gibt es für die diesjährigen 13. Titelkämpfe im polnischen Katowice [18.-24. August] laut DSB-Sportdirektor Uwe Bönsch aber kein Interesse von deutschen Aktiven.
Nationale Junioren-Meisterschaften würden für mich schon Sinn machen, wenn ihre Teilnehmer zur Altersklasse U20 gehören. In Magdeburg allerdings trifft das in der B-Gruppe, wo die DWZ-Grenze 1600 ist, lediglich auf Robert Friedrich von der BSV 63 Chemie Weißensee zu, und der hat, obwohl er Jahrgang 1989 ist, absolut nichts mit der Medaillenvergabe zu tun. Das Feld wird von den Jahrgänge 2000 und jünger dominiert, was eigentlich nicht weiter kommentiert werden muss.
Oder vielleicht doch! Die meisten Aktiven aus beiden Open würde jedenfalls sehr gut in die Teilnehmerfelder bei der traditionellen Deutschen Schach Amateurmeisterschaft gehören, die seit der Saison 2001/02 stattfinden. Inzwischen gibt es bekanntlich sechs Leistungsgruppen, wobei man für die niedrigste Kategorie F bis DWZ 1200 zugelassen wird. Das würde übrigens in der ODJM B auf die Hälfte aller Mädchen und Jungen zutreffen – von den acht Brandenburgern gehören übrigens auch vier in diese „Spielklasse“!
Doch zurück zum Meisterschaftsgeschehen, wo ja am gestrigen Freitag in der U10 und U12 die letzte Doppelrunde anstand und in den übrigen Altersklassen die vorletzte Runde gespielt wurde.
Nicht nur ich Zuhause vor dem Bildschirm bei der Internet-Live-Berichterstattung habe mit Maximilian Paul Mätzkow gelitten, der mit Schwarz in Runde 9 am Vormittag Jirawat Wierzbicki von TuS Makkabi unterlag. Mit dem c3-Sizilianer des Berliners, der von Großmeister Robert Rabiega betreut wird, kam Max einfach nicht zurecht. Es ist sicherlich keine ambitionierter Gewinn-Fortsetzung für Weiß, aber eine voller Fallstricke. Doch der Rückstand zur Spitze betrug danach lediglich einen Punkt. Da war für den Jungen aus Eberswalde, der auf Platz 10 zurück gefallen war, nicht alles verloren. Voraussetzung aber war ein Weißsieg gegen Lennard Meyling vom Hamburger SK am Nachmittag, und das wusste Maximilian natürlich.
Die Eröffnungsphase in diesem Geschlossenen Sizilianer [B23] wurde von beiden recht eigenwillig behandelt : 1.e4 c5 2.Sc3 a6 3.a4 Da5 4.b3 b5 5.Lb2 b4 6.Sce2. Doch dann zeigte Maximilian echte Nervenstärke, gewann die Partie nach nur 29 Zügen und ist mit 7/10 wieder im Rennen zumindest um Bronze. Da muss er aber mit Schwarz Kevin Tong vom SC Erlangen schlagen und gleichzeitig darauf hoffen, dass aus dem Führungstrio Luis Engel, Daniel Kopylov und Jan-Okke Rockmann [alle 8/10] sowie Verfolger Jirawat Wierzbicki mindestens zwei patzen. Solche Planspiele bei den Paarungen Kopylow– Rockmann und Wierzbicki–Engel sind zwar Spekulation, aber nichts ist bekanntlich unmöglich. Im Vorjahr wurde Maximilian mit 7,5/11 am Ende Fünfter bei der U12 , was angesichts dieser Konstellation von sechs Spielern mit 7/11 eher realistisch ist.
Erfreulich war, dass Margaryta Paliy ihren Blackout mit dem Grundlinienmatt von Donnerstag bestens verarbeitet hat und am Freitag, den 13. (!), quasi „auf Bestellung“ gewann. Nun steht die Potsdamerin bei 4 aus 8 in der U18w, und das ist Platz 13. Mit Schwarz geht es heute zum Finale gegen die punktgleiche Ann-Kathrin Tettmann vom SK Landau. In jedem Fall sieht es für sie nach einer besseren Rang als ihr Setzranglisteplatz 17 aus. Und das sollte doch motivieren, dieses Ziel aus eigener Kraft zu schaffen.
Auch Susan Reyher nutzte die Gunst der Stunde – sechster Sieg in der ODJM B, was sie mit 6/8 auf Rang drei nach Wertung vor der Berlinerin Cecilia Lange [TSG Oberschöneweide] sieht. Heute trifft sie mit Weiß auf Mathis Hofele [Jahrgang 2002!] vom SV Plochingen, der auch 6/8 hat. Es sagt sich so leicht, dass es eine lösbare Aufgabe ist, aber ich hoffe einfach, dass Susi, die bislang kompromisslos zur Sache gingt, nicht zuletzt das nötige Glück auf ihrer Seite haben wird.
Nick Müller spielt bei der U18 seine bisher beste Meisterschaft, gewinnt gegen Emil Powierski [Elmshorner SC]. 5,5/8 – da geht noch etwas, zumindest eine TOP 10-Platzierung ist bei einem Remis fast sicher. Dass er mit dem Tabellenzweiten Jonas Lampert [6/9] vom Hamburger SK [DWZ 2432/Elo 2397] den schwersten Gegner erhalten hat, muss kein Nachteil sein. Ebenso trifft das auf die schwarzen Steine. Aber Jonas ist natürlich ein Aktiver, der im Vorjahr als U16-Meister mit 8/9 und zwei Punkten Vorsprung seine Gegner in Oberhof förmlich „zerstampfte“, wie ist Ilja Schneider als Augenzeuge charakterisierte. Gegenwärtig liegt Nick hinter Titelverteidiger Johannes Carow [Sfr. Heidesheim] auf Platz 4, allerdings nur durch die um einen winzigen Punkt schlechtere Buchholzwertung. Kaum zu glauben, dass der Potsdamer in dem 30 Teilnehmer starken Feld auf 19 gesetzt war. Seine gleichmäßig stabilen Leistungen bei nur einer Niederlage gegen Florian Ott [6/8[ vom SC Forchheim, der vor der letzten Runde auf Platz 1 liegt, beweist jedoch nachdrücklich, wie man in der Stunde der Entscheidung über sich hinauswachsen kann. Es braucht halt oft auch seine Zeit, ehe urplötzlich der Knoten platzt. Egal, wie die Entscheidungspartie ausgeht, Nick verdient jetzt schon nicht nur meinen Respekt!
Clemens Rietze schließlich wird bei der Premiere der Offenen Deutschen Juniorenmeisterschaft U25 ganz sicher unter den Medaillengewinnern in der A-Gruppe sein. Da lege ich mich einmal nach seinem Schwarzsieg im gestrigen Spitzenduell gegen David Kaplun vom Düsseldorfer Schachklub 1925 fest. Mit 6,5/8 liegt er nur einen halben Punkt hinter Spitzenreiter Maximilian Berchtenbreiter, aber der war als Neumitglied in der deutschen Nationalmannschaft und Silbermedaillen-Gewinner mit dem Männer-Team bei Mitropa-Pokal 2014 sowieso der Favorit. Clemens hat nun in seiner letzten Partie Daniel Stein [SK Frankenthal] als Gegner zugelost bekommen, der einen halben Punkt hinter ihm auf Rang 5 liegt. Ein Remis würde also reichen, aber die beste Option ist natürlich, der Potsdamer gewinnt einfach – was sich so leicht schreibt..
In jedem Fall drücke ich nicht nur unseren Medaillen-Kandidaten heute ab 9 Uhr für einen überzeugendes finalen Auftritt die Daumen, sondern selbstverständlich unserem gesamten Brandenburger Team!
Raymund Stolze