Donnerstag, den 12. Juni 2014
Wie wär’s mit Vorbildern?
Irren ist männlich, und so will ich gleich an dieser Stelle einen Fehler korrigieren. Beim Live-Gucken hatte ich in Runde 3 ein 1-0 bei Susan Reyher gesehen. Ich hatte mich zwar gewundert, wieso ihr Gegner Kevin Silber die Partie aufgegeben hat, aber da stand ja das Ergebnis 0-1. Na ja, ist wohl nur halb so schlimm, oder, denn die zweite Halbzeit hat Susi gestern Nachmittag mit einem leichten Sieg gegen die bisherige Spitzenreiterin Alexandra Schmidt [4,5/5] vom SC Traktor Priestewitz begonnen. Manchmal kann eben alles ganz einfach sein – wenn die Taktik aufgeht – oder in diesem Fall nicht. In einem Abtauschfranzosen machte ihre Gegnerin nach 1.e4 e6 2.d4 d5 3.exd5 exd5 4.Ld3 c5 5. dxc5 Lxc5 6.Sc3 Sf6 7.Lg5 einen dicken Fehler: 8…Lxf2+?? [richtig war 7…O-O] . Es folgte 8.Kxf2 Sg4+ [auf diese Entfesselung war der Bluff aufgebaut, aber er wurde zu einem Bumerang für Schwarz] 9.Dxg4 Db6+ 10.Le3 Dxe3+ 11.Kxe3 Lxg4 12.Sxd5, und Alexandra hätte getrost aufgeben können, schleppte die Partie aber noch ewig hin. Aufgeben in einer klar verlorenen Stellung ist für mich auch ein Zeichen von sportlicher Fairness!
Aber nun zum eigentlichen Thema – siehe Schlagzeile. Wie ich auf der Webseite gelesen habe, geben sich in Magdburg mit Arkadij Naiditsch, Artur Jussupow und Niclas Huschenbeth drei Großmeister die Ehre.
Arkadij, Deutschlands Nummer 1, hatte sich bereit erklärt, auf Chessy TV laufende Partien in allen Altersklassen zu kommentieren. In diesem Zusammenhang kann ich mich noch gut an die Meisterschaft 2005 in Willingen erinnern, wo Viktor Kortschnoi diesen Part übernommen hatte. Im Jahr zuvor waren seine Erinnerungen Mein Leben für das Schach in der EDITION OLMS erschienen, die ich als Lektor betreuen durfte. Da wir einen sehr guten persönlichen Kontakt hatten, fragte ich ihn seinerzeit, ob der denn ein Simultan bei der DJEM geben würde. Die Zusage kam ohne zögern, und das aus gutem Grund: „Zu meinem Credo gehört es heute, die gesammelten Erfahrungen an die Jugend weiterzugeben. Gerade die jungen Schachspieler möchte ich ermutigen: seid kompromisslos, ehrgeizig, voller Kampfgeist! Diese Eigenschaften in Verbindung mit Phantasie sind – das zeigen meine persönlichen Erfahrungen – der eigentliche Schlüssel zum Erfolg!“
Auch Artur Jussupow, der 1995 auf dem Weltranglistenplatz 11 lag und mit den deutschen Männer-Team bei der 34. Schacholympiade fünf Jahre später in Istanbul die Silbermedaille gewann, fühlt sich diesen Anspruch als Trainer und Buchautor verpflichtet. Vor allem seine „Tigersprung“-Reihe – im konkreten Fall die Trilogie bis DWZ 1500 – ist für junge Schachspieler das beste Material zum selbstständigen Training. Und darauf kommt es vor allem an – sich selbst auf die Expedition ins Schachreich zu machen, fleißig zu arbeiten. Schach ist Arbeit – und erst wer so herangeht, der ist ein echtes Talent!
Wie es ausschaut, hat Niclas Huschenbeth, der mit 18 Jahren 2010 jüngster Deutscher Meister bei den Männern wurde, leider andere Prioritäten gesetzt. Der jüngste der drei Großmeister – den Titel erhielt er im Februar 2012 – studiert in Baltimore in den USA Psychologie, ist allerdings noch aktiv im Studentenschach dabei, das in den Vereinigten Staaten eine bedeutende Rolle spielt. Wer mehr Infos über Niclas haben möchte, dem empfehle ich seine tolle Homepage http://www.niclas-huschenbeth.de/de/. Gerade ist von ihm auch seine erste DVD beim ChessBase erschienen, Taktik-Turbo Najdorf heißt die, und dabei geht es um taktische Motive und Opfer sowohl für Weiß als auch für Schwarz im Najdorf-Sizilianer.
Das Trio wird Simultan spielen und auch bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Leistungssport dabei sein. Schade, dass ich bei diesem Termin nicht vor Ort bin, aber unsere Trainer werden ganz sicher die Chance nutzen!
Noch einmal zum aktuellen Turniergeschehen aus Brandenburger Sicht und dabei der Frage nachgegangen: Wie steht es um unsere Hoffnungen?
In der U12 ist Maximilian Paul Mäzkow 5/7 nach wie vor vorn mit dabei. Allerdings hat er bisher noch gegen keinen der Favoriten um den Titel gespielt. Gestern kamen 1,5/2 dazu: Sieg gegen Benjamin Wagner am Vormittag mit Weiß, Remis gegen Bennet Biastoch am Nachmittag mit Schwarz. Heute steht nur eine Runde ab 9 Uhr auf dem Programm, aber die wird sehr, sehr wichtig für den EU-Meister von 2013 in der U11 sein. Der alleinige Spitzenreiter Luis Engel vom Hamburger SK hat zwar einen ganzen Punkt mehr als „Mäxchen“, aber der wäre bei einem Sieg im direkten Aufeinandertreffen dahin.
In der U18 ist Nick Müller [3,5/6] nach einem Remis gegen Aaron Moritz von den SF Berlin weiterhin auf Kurs TOP 10. Aber gerade im Mittelfeld herrscht ein großes Gedränge. Mit Nick, dem Ludwig Stahnecker vom SV Koblenz 03/25 zugelost wurde, kommen aktuell 13 von insgesamt 30 Spieler auf 3 bzw. 3,5 Punkte.
Bleibt die Offene Deutsche Juniorenmeisterschaft U25 Gruppe A. Hier ist für die Brandenburger bei der Premiere dieser Titelkämpfe sogar eine Medaille durch Clemens Rietze möglich. Gegen den hohen Favoriten IM Maximilian Berchtenberger hat der Setzranglistenfünfte in Runde 4 remis gespielt, gestern nun ging es bis in die späten Abendstunden – so signalisierte es jedenfalls das Live-Logo – gegen Paul Doberitz vom Hamburger SK, der erst mit der zweiten Partie ins Turnier eingestiegen ist, aber dann mal eben 4/4 holte. Auch hier gibt es ein leistungsgerechtes Unentschieden, womit unser „Brandenburger“ auf „Treppchen“-Kurs mit 5/6 bleibt.
Was unsere Mädchen angeht, so wird es an den restlichen drei Wettkampftagen für fast alle erst einmal darum gehen, möglichst eine Leistung zu erreichen, die im Rahmen der DWZ liegt bzw. zumindest nicht schlechter als der Satzranglistenplatz zu Beginn ist. Eine TOP 10-Platz könnten neben Susan Reyher noch Annika Sauer [ U14w] und Margaryta Paliy [U18w] im wahrsten Sinn des Wortes erkämpfen. Die 3/6 der Leegebrucherin – heute kam ein Remis gegen Leonore Poetsch von den SF Schöneck aus Hessen dazu – sind durchaus eine Ausgangsposition, die einen solche Rang hergibt. Über Margaryta vom USV Potsdam staune ich echt, denn wer bitte schön, hätte ihr 3/6 zugetraut, wobei sie allein 2 Punkte aus den letzten drei Partien gesammelt hat. Das ist derzeit Platz 13, aber es sind immerhin noch drei Runden zu spielen, in denen drei Punkte vergeben werden.
Ach ja, die „berühmten“ Vorbilder. Weltmeister Magnus Carlsen konnte im Juni 2000 auf der offiziellen nationalen Wertungsliste einen Zahl von 904 auf der Basis von 34 Partien vorweisen. Da war der „Wunderjunge“ neuneinhalb Jahre jung. Wenn das für Brandenburgs Jüngste kein Motivation ist…
Raymund Stolze
P.S.: Nun hat Susans unendliche Geschichte doch ein gutes Ende. Gerade habe ich den Tagesbericht von DSJ-Pressechef Carsten Karthaus per Emai erhalten, und da steht unter U25B: Vier Spieler teilen sich mit 5/6 die Führung: Susan Reyher, Marvin Henning, Cecilia Lange und Nico Meyer. Also ist Irren doch nicht immer männlich. Ein Blick auf die aktuelle Tabelle der Veranstalterwebseite [ http://www.deutsche-schachjugend.de/2014/odjm-b/tabelle/6/ ] mit Buchholzwertung sogar auf Rang 1 liegt. Also, liebe Brandenburger, diese Tabelle einrahmen, und sie muss ja keineswegs eine Momentaufnahme bleiben. Heute ab 9:00 Uhr kann Susan gegen Marvin Hennig vom Reideburger SV 90 Halle diesen Platz an der Sonne behaupten…